Einführungsrede
regionale Schulkunstausstellung
am 8.April 2016
im Landratsamt Rastatt

Thema Zeichnung

Liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Erwachsene

Jede und Jeder von uns, die wir heute zusammen gekommen sind, um die Schulkunstausstellung 2016 zum Thema Zeichnung zu eröffnen, hat als kleines Kind früh angefangen zu zeichnen.
Ob ihr Schülerinnen und Schüler oder alle anwesenden Erwachsenen, aber auch z.B. unsere Bundeskanzlerin Frau Merkel oder Herr Obama – so schwer vorstellbar das klingen mag – wir alle haben als kleine Kinder gezeichnet.
Was war da eigentlich los?
Sobald unsere Hände, so zwischen dem 1. und 2. Lebensjahr, greifen konnten haben wir Stifte genommen und gekritzelt, gezeichnet mit Lust und Freude, so oft wir konnten. Es ist ja klar, dass, wenn aus unseren Fingern Farbe gekommen wäre, bräuchten wir gar keine Stifte. Stifte sind wie die Verlängerung unserer Finger.
Also warum zeichnen, kritzeln alle Kinder gerne und schon so früh?
Das Zeichnen ist die wohl erste und in dieser Zeit die einzige Ausdrucksmöglichkeit die uns zur Verfügung ist. Unser Mitteilungs- und Ausdruckswille ist uns ein tiefes inneres Bedürfnis. Das hat jedes Kind. Neben Hunger und Durst suchen wir uns auszudrücken und tun das mit zeichnen und kritzeln.
Übrigens: In dieser Phase sind wir eigentlich alle Künstler. Auch Frau Merkel und Herr Obama. Später trennen sich die Wege. Einige wenige bleiben Künstler, machen Kunst ihr Leben lang. Die anderen ergreifen andere Berufe, haben andere Talente. Doch vielen bleibt Kunst dennoch lebenswichtig, sie gehen in Ausstellungen, interessieren sich für Kunst oder kaufen und sammeln sogar Kunstwerke.

Doch zurück in unsere Kindheit. Wir zeichnen wohl auch deshalb so früh, weil uns die Sprache, das Sprechen, unser eigentliches Kommunikationsmittel nicht so rasch zur Verfügung steht. Sprache entwickelt sich im Wesentlichen zwischen dem 1. und dem 3. bis 4. Lebensjahr. Und es dauert, dauert, dauert lange bis wir uns mit Sprache ausdrücken können. Wir sagen können was uns bewegt, beglückt oder verängstigt und mit den Erwachsenen sprachlich mithalten können.
Ein zweiter Grund ist, dass unsere Hände noch sehr ungeschickt sind, dass wir in diesem Alter noch viel Praktisches lernen müssen – aber: Klar! Zeichnen, Kritzeln geht immer, es ist einfach. Stift, Papier – und los geht’s.
Es ist also das Zeichnen und Kritzeln, das Blatt Papier – womit wir uns ausdrücken können. Wir müssen das nicht lernen-das kann jedes Kind. welch ein Glück! Dass uns das künstlerische Mitteilen so lebenswichtig ist, sehen wir auch an der Entwicklung der Menschheit an sich. Die ersten Menschen auf dieser Erde vor vielen tausenden Jahren, haben zum Überleben Tiere gejagt und Nahrung gesammelt aber auch gleichzeitig und erstaunlicherweise ihre Hoffnungen und Ängste, ihr Dasein auf Steine geritzt, an Höhlenwände gezeichnet.
Doch wieder zurück zu uns, unserer Entwicklung. Bis wir in den Kindergarten kommen haben wir unsere beste Zeit, keiner redet in unsrer Kunst rein, wir gehen mit den gestalterischen Möglichkeiten fröhlich, frei, meist genial um – und – dass unser Umfeld das in der Regel nicht wahrnimmt, ist unwichtig. Wir spüren diese glückbringende Lust am Zeichnen, das uns stärkende Erlebnis Bilder zu machen.
Im Kindergarten dann laufen wir schon Gefahr unsere Freiheit einzubüßen. Es muss ein Haus, ein Baum, die Wiese und oben rechts die Sonne sein. Die Farben müssen stimmen. Wir fangen an zu vergleichen, das bewerten beginnt, die oder der kann es aber besser. Auch wird uns zu unseren Stiften ein Malkasten mit Pinseln dazugestellt, dazugekauft. Und weil uns niemand anleitet und ermutigt aus dem Fleck heraus experimentell zu malen – denn, wie sich ihrem Wesen nach Zeichnung aus der Linie entwickelt, baut sich Malerei aus der Dynamik des Fleckes, den Möglichkeiten von gestalteten Flächen auf.
Wenn das Zeichnen wie eingangs erwähnt, den Finger entspricht, so das Malen dem verlagern, verwischen mit der ganzen Hand, der Handfläche. Weil uns, wie gesagt, niemand dazu ermutigt experimentell zu malen, benutzen wir den Pinsel eher wie einen Stift, zeichnen eigentlich mehr mit dem Pinsel als zu malen.
Und wenn oben rechts die gelbe Sonne sitzt, sagen alle: Das hast Du aber schön gemalt.
Viele von uns verlieren schon im Kindergarten die Lust sich künstlerisch-gestaltend auszudrücken.
Dann kommen wir – schon relativ verunsichert – in die Schule. Wir entdecken die Faszination, den Reiz, das was wir sehen – als Bild möglichst getreu wiederzugeben, lernen große Vorbilder aus der Kunstgeschichte kennen. Versuchen erst gar nicht die uns gegenüberstehende Welt mit Malerei, gar Ölmalerei zu erfassen, sondern besinnen uns auf das Zeichnen, den Bleistift und ein Stück Papier. Wir versuchen also zunächst nicht mit Malerei, sondern mit der Linie unsere sichtbare Welt zu erkunden, zu umfahren, zu begreifen. Aber es ist an diesem Punkt fast nicht anders möglich als zu scheitern, immer wieder zu scheitern, die Messlatte liegt hoch, wir verzweifeln, verlieren die Motivation sich auszudrücken, unserem eigentlichen Urbedürfnis.
Die einzige Hoffnung die bleibt, ist eine gute Kunstpädagogik an unseren Schulen. Kunstlehrerinnen, Kunstlehrer die es verstehen die Freude und Lust am Kunstschaffen aufrecht zu halten. Die kunstpädagogische Fähigkeit ist gefragt – jeder einzelnen Schülerin, jedem Schüler Angebote aus den Bereichen der experimentellen oder strukturellen Kunst zu machen. Oder sich mit kreativer Phantasie in freien Farb- und Formwelten zu bewegen. Sich mit figürlicher und gegenständlicher Kunst zu beschäftigen. Bis hin zu digitalem Schaffen oder Kunst im weitesten Sinne aus verschiedensten Materialien und Konzepten zu entwickeln: Damit jede Schülerin, jeder Schüler sich nach ihren individuellen, ihren eigenen Talenten und Möglichkeiten im Rahmen des Kunstunterricht finden und kreativ entwickeln kann.
Dass wir in der Schule Kunstunterricht haben ist enorm wichtig wenn wir Jugendliche und langsam erwachsen werden. Wieder reichen uns oft sprachliche Mittel nicht, das was uns bewegt auszusprechen, mitzuteilen. Die Graffitikultur zeigt auf, wieviel Mitteilungsbedürfnis wir im Jugendalter haben, wie es in uns brodelt und nach Ventilen gesucht wird.
Interessanterweise ist auch das Graffiti im Wesentlichen von der Linie, von der Zeichnung bestimmt. Wie im Kleinkindalter, wie im Einschulungsalter und wie in den Höhlenzeichnungen der frühen Menschheitsgeschichte. Auch in der Kunstgeschichte lässt sich erkennen, dass sich das Zeichnen als Ausdruckmöglichkeit vor der Malerei entwickelt hat. In den Lehrstätten und Akademien der Neuzeit wurde lange das Zeichnen geübt bis der malerische Bildaufbau an der Reihe war.
Zeichnen scheint vor dem Malen zu kommen. Zeichnung ist wohl der Ursprung, die Quelle, der Anfang der bildenden Kunst. Ein gemaltes Bild lässt sich immer auf Zeichnung, Grundlinien zurückführen. Nicht umgekehrt, eine Zeichnung lässt sich unmöglich auf Malerei zurückführen.
Und – unser ganzes Leben wird anscheinend von der Linie bestimmt, mehr als uns bewusst ist. Keine Schrift ohne Linie, kein Rechnen/Mathematik ohne Linie. Keine Wissenschaft ohne Liniendiagramm. Kein handwerklich oder industriell gefertigtes Produkt ohne Plan. Kein Hausbau ohne Plan, kein Plan ohne Linie, ohne technische Zeichnung . Die digitale Grundstruktur besteht aus Kombinationen von Kreis und Linie, also kein Smartphone ohne Linie. Keine Navy ohne Linie, kein Ankommen ohne Linie. Aber auch keine Religion ohne durch Linie erkennbare Symbole. Kein Fingerabdruck ohne Linie. Die Liste ließe sich auf eine unendliche Linie verlängern. Es scheint, wir sind ohne Linie nicht lebens- und arbeitsfähig. Aber auch keine langweilige Schulstunde ohne kritzeln am Heft Rand und kein Telefonat ohne Notizblockkritzelei.
Doch vom Wesen der Zeichnung zurück zu Euch, liebe Schülerinnen und Schüler. Dass Kunstunterricht in der Schule wichtig ist dürfte klar sein. Doch oft führt der Kunstunterricht in den Schulen ein Randdasein oder findet gleich gar nicht statt. Doch nicht so hier im Südwesten in Baden-Württemberg.

Ähnlich wie die Gallier dem römischen Reich trotzten, wird sich hier der Tendenz Kunstunterricht zu vernachlässigen, mit der seit vielen Jahren bestehenden Schulkunst, ihren regionalen- und Landesausstellungen mit großem Engagement und Überzeugung entgegengestellt.
Ihr, liebe Schülerinnen und Schüler, seit wie Asterix und Obelix. Ihr habt den Zaubertrank. Ihr bezaubert uns mit euren spannenden, vielseitigen einmalig mega-klasse Arbeiten zum Thema Zeichnung.
Ihr habt die Linie befreit aus dem Alltagsgebrauch heraus in eure Schulkunstwelt. Ihr lasst die Linie tanzen. Ihr schafft ein Fest der Linie, der Zeichnung – hier in den öffentlichen Räumen des Landratsamtes – für uns heute und viele, viele Menschen in den kommenden Wochen.
Zum Ende noch einmal zurück zu Frau Merkel und Herrn Obama. Bei Obama weiß ich nicht recht was er als Kind gerne gezeichnet hat. Bei Frau Merkel ist das klar. Sehr viele Rauten und Dreiecke (mit den Händen vormachen). Bei Fußballerinnen- und Fußballstars ist es auch klar – nach dem Tor machen sie so (Herzform mit den Händen vormachen). Sie müssen viele Herzen als Kinder gezeichnet haben. In diesem Sinne Euch liebe Schülerinnen und Schüler herzlichen Dank für Eure vielen guten Zeichnungen und Kunstwerke. Die Schulkunstausstellung ist eröffnet mit einem verdienten Applaus für und an Euch.

KH Schmeißer