Rede von KH Schmeißer
zur Ausstellungseröffnung am 27. Januar 2015
in der Ehemaligen Synagoge Rexingen
Ist das ein Mensch
Unter Einsatz seines Lebens ging der Pole Witold Pilecki als einziger Freiwilliger 1940 in das Konzentrationslager Auschwitz. Durch ihn gelangten detailierte Informationen zu den Alliierten über das – Was dort geschah –. 1943 gelang ihm die Flucht aus dem Lager. Im Mai 1944 machte die Royal Air Force Luftaufnahmen auf denen starke Rauchentwicklung über den Krematorien des KZs zu sehen war. Am 27. Januar 1945, heute vor 70 Jahren, wurde vormittags das Hauptlager Monowitz und nachmittags das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau von der Roten Armee befreit. Einige Tage später ist die Weltöffentlichkeit von der höllischen Vernichtungsindustrie unvorstellbaren Ausmaßes informiert worden. Mehr als 1 Million Menschen, zum größten Teil Juden, Sinti und Roma und andere Minderheiten, politisch anders Gesinnte, Homosexuelle und Behinderte, fielen den Nazis zum Opfer. In Nachkriegsdeutschland tat man sich, schwer einen Gedenktag zu verankern, an dem an das Ende des Schreckens, an die Opfer gedacht, getrauert, aber auch zur Schuldfrage hätte Stellung genommen werden können. Nur in jüdischen Gemeinden fanden Gedenkveranstaltungen statt. Beschämenderweise erst ab 1996, gut 50 Jahre nach Auschwitz und auf Initiative Ignaz Bubis, dem damaligen Zentralratsvorsitzenden der Juden, wurde „der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ bundesweit mit einer Gedenkstunde im Bundestag, Trauerbeflaggung an öffentlichen Gebäuden und einer Rede des jeweiligen Bundespräsidentenals offizieller Gedenktag gesetzlich verankert. 2005, mit 60jähriger Verspätung, wird der 27.Januar von der UN zum „Internationalen Tag des Gedenkens der Opfer des Holocausts“ erklärt. „Yom ha Scho’a“, ist in Israel seit den 1950er Jahren „nationaler Gedenktag an die Opfer des Holocaust“, an dem weitgehend die Arbeit niedergelegt wird. Wenn vormittags um 10 Uhr die Sirenen heulen, steht ganz Israel für einige Minuten still und gedenkt der Opfer. Wäre nicht dem jüdischen Volk und dem Ausland gegenüber, ein gesetzlicher arbeitsfreier Feier- bzw. Gedenktag angemessen, um sich mit diesem Zeichen zu entschuldigen und seinen Willen zu Aufarbeitung und Vergangenheitsbewältigung glaubwürdig machen zu lassen. Wäre dies fiktiv heute der Fall: Ein Stolperstein! – Provokation, für Manche – für Viele? Und damit herzlich willkommen zur Ausstellung – Ist das ein Mensch –, benannt nach dem gleichnamigen autobiographischem Bericht des jüdisch-italienischen Holocaustüberlebenden Primo Levi aus dem Jahre 1947, in dem er seine Erfahrungen im KZ Auschwitz beschreibt. Levi wurde 1919 in Turin geboren. 1943 schloss er sich dem antifaschistischen Widerstand, der Resistenza an, wurde von faschistischen Milizen gefasst und 1944 bis nach Auschwitz deportiert. Und, wie er berichtet, unter glücklich zufälligen Umständen am 27. Januar 1945 befreit. Über Umwege kam er zurück nach Turin und begann sofort den Bericht – Ist das ein Mensch – zu schreiben. Auch in seinen weiteren literarischen Arbeiten sind Biographisches und Auschwitz Erfahrungen verarbeitet. In Levis letztem Werk, – die Untergegangenen und die Geretteten – schreibt er kurz vor seinem Tod über die Scham der Geretteten, die Verzerrungen der Zeitzeugen auf Täter und Opferseite, eigentliche Zeugen seien die, die – nicht – überlebt haben, appelliert dennoch an Zeugnisablegen und Erinnern. 1987 stürzte er in den Treppenschacht seines Wohnhauses in Turin, es war wohl Freitod. Der Titel dieser Ausstellung – Ist das ein Mensch – bewusst ohne Fragezeichen belassen, um Reflexionen Raum zu geben, besteht aus zwei Teilen, die sich aufeinander beziehen. – Ist das – und – ein Mensch –. – Ist das – könnte auch bin ich, bist du, sind wir, seid ihr usw. lauten. Der zweite Teil dann – ein Mensch –. Mit der Variablen x zur Gleichung gebracht: x = ein Mensch. Da dem Menschen ein grundsätzliches allgemeingültiges Selbstverständnis nicht gegeben ist, entsteht zwangsläufig die Frage – was ist ein Mensch –, unsere Haltung, unser Verhalten bedarf eines Vorbildes, eines Bildes von Menschsein, einem Menschenbild. Die inhaltliche Füllung, die Vorgabe, der Maßstab was ein Mensch ist, sein sollte, kann unterschiedlicher vielfältiger beliebiger und entgegengesetzter nicht sein, und ist doch wohl der zentralste und entscheidende Kern unseres Daseins. Aus Sicht der Nazis waren Juden und andere Menschengruppen Unmenschen Monstren, sie sollten ausgelöscht werden. In der Vorstellung der Nazis ist – der ein Mensch – wer einer bestimmten Rasse angehört und – der ist ein Mensch – wer die so definierten Unmenschen und explizit Juden vollständig vernichtet. Ein Menschenbild voller Hass, Mord, Bosheit, Wahn, dem Millionen zum Opfer fielen. Auf der anderen Seite, entgegengesetzt, aus dem Johannes Evangelium Kap.19 Vers 5 kennen wir den Ausspruch – Ecce homo – übersetzt – seht welch ein Mensch –. Seit dem 9. Jahrhundert, von Hieronymus Bosch über Corinth oder Hilde Domin, hat die motivische Auseinandersetzung des – ecce homo – in der Kunst des Abendlandes bis heute an Reiz nicht verloren. – Seht welch ein Mensch – eine mögliche Entsprechung, ein Vorbild auf – ist das ein Mensch –. In diesem Zusammenhang denken wir naheliegend an Dietrich Bonhoeffer, den evangelischen Theologen, der 1933 Stellung gegen die Nazis und Judenverfolgung nahm, 43 verhaftet und ins KZ Dachau gebracht wurde. Am 9.April 1945, einen Monat vor Kriegsende auf ausdrücklichen Befehl Hitlers hingerichtet wurde. Ecce homo – seht welch ein Mensch! Wie konnte dies zu verachtende Weltbild entstehen, wie konnte durch Nazideutschland Aufklärung, Demokratiewille, menschenwürdige Verfassung, Menschenrechte, Glaube, völlig wertlos werden und eine pseudoreligiöse, hasserfüllte, diktatorische Ideologie für Europa und die Welt millionenfach Unheil und Tod bringen. Was sind die Wurzeln, die zu dieser Katastrophe führten? Wer war, wer hatte Schuld? Wie ist Deutschland mit diesem dunklen Erbe umgegangen? Was hat sich in den 70 Jahren verändert? In welcher Situation sind wir heute und sind es morgen? Fragen, die sich nicht nur an diesem Gedenktag aufdrängen. Fragen, die besonders schwer auf den Nachkriegsgenerationen lasteten und lasten. Ich selbst zähle mich zur, ich nenne sie – Nischengeneration –. 1957, zwischen der schwarzen Wand der Naziverbrechen und der 68er Bewegung geboren. Zu jung, um meinen, unseren Kontext verstehen zu können. Ich war 1968 elf Jahre alt, doch hochsensibel hat meine Generation die Situation, die Stimmungen aufgesaugt, aufsaugen müssen. Um mein Geburtsjahr gab es eine Welle von Schändungen an jüdischen Friedhöfen, die kriegsverherrlichenden, eine saubere Wehrmacht darstellenden Landser-Hefte erschienen. Die NPD formierte sich in meinem Einschulungsjahr, überall sogenannte ungebrochene Karrieren, ehemalige Nazitäter besetzten in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft teils hohe einfl ussreiche Ämter. Zur Schuld wurde sich nicht bekannt. So haben sich Schuld, Schuldgefühle möglicherweise besonders in meine Generation verschoben, weil sich die Außenherum nicht dazu bekannt haben. Noch heute fühle ich mich schnell schuldig und kompensiere dies mit einer Art Überverantwortlichkeit, alles richtig zu machen, damit ich ja nicht an etwas schuld bin. Absurde Gedanken wie: Warum haben wir, ich das nicht verhindert? Dann die quälende und zu Albträumen führende Frage, wie wäre mein Verhalten als Erwachsener zwischen 1933 und 1945 gewesen, hätte ich mitgemacht aus Angst, feige oder gar aus Überzeugung, wäre ich emigriert, oder innerlich emigriert, hätte ich mich dem Widerstand angeschlossen? Ein Sog, oft so stark, dass ich das Gefühl hatte, dabei gewesen zu sein, verantwortlich zu sein. Und da bin ich wieder, mich im Kreis drehend, bei den Schuld- und Schamgefühlen meiner Generation. Die Älteren, die 68er Generation, erreichten einen wichtigen und notwendigen gesellschaftlichen Richtungswechsel, ungebrochene Nazikarrieren hatten es fortan schwer, mit 25 Jahren Verspätung wurden Tabu-Themen angesprochen und mit Willi Brandt als Bundeskanzler demokratische Weichen gestellt. Ich, wir aus der Nischengeneration, hatten damals als Kinder keine Teilhabe an diesen Prozessen. Wir standen am Rand, irritiert erschrocken in gelähmten Zustand. Vielleicht erklärt sich so, dass ich als Maler wenig Bezug zu den Kunstströmungen der Generation ab und nach 68 hatte, mein Blick war rückwärts gerichtet, mein malerischer Ansatz steht, ohne das bewusst gewollt zu haben, dem der sogenannten verschollenen Generation und dem expressiven Realismus, nahe. Den gebrochenen Karrieren, die zwischen den Weltkriegen in ihrer Kunst einzigartig aufblühten und in Nazideutschland durch Verfemung und Malverbot brutal unterdrückt wurden, viele ihrer Werke durch Bombeneinschläge verloren haben und nach dem Krieg in Vergessenheit geraten sind. Im Kunsthaus Stuttgart ist aus deren Sammlung zurzeit ein Bild des Malers Fritz Winter mit dem Titel – Verglühende Blüten – aus dem Jahr 1948 zu sehen, welches eindrucksvoll als Sinnbild für diese Generation stehen kann. – Verglühende Blüten – ist das auch aktuell ein Sinnbild für den Zustand unserer Demokratie, den Idealen und Werten unserer Gesellschaft. Vor ungefähr 2 Jahren begann ich unruhig, besorgt zu werden. Nur einzelne Stimmen warnten damals von einer Verschlechterung des Verhältnisses der EU zu Russland und beklagten zunehmende Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus auch in Deutschland. Meine Befürchtungen haben sich nicht nur wegen der Ukraine-Krise mehr als bestätigt. In kürzester Zeit ist das Selbstverständnis des aufgeklärten humanen Menschen gefährdet, dagegen sind vielleicht schon überwunden geglaubte, nationalistisch-fremdenfeindliche Überzeugungen wie ein Bumerang zurückgekehrt und machen sich in Europa mit wachsendem Zulauf zu Rechtspopulisten beängstigend breit. Verrohung, Gewaltbereitschaft nehmen in der Gesellschaft zu. Juden wandern zunehmend nach Israel aus. Der Islam – eine Weltreligion – wird zur Bedrohung abgestempelt. Unsere friedlich lebenden moslemischen MitbürgerInnen werden angesichts zunehmender fundamentalistisch terroristischer Gewalttaten unter Generalverdacht gestellt und leiden durch Islamfeindlichkeit und gewalttätige Übergriffe auf ihre religiösen Einrichtungen in ihren westlichen Heimatstaaten. Wohl längst schon innerlich gewachsene Ressentiments, auch aus der Mitte unserer Gesellschaft, werden jetzt gehässig ausgesprochen. Frauen und Mädchen sind weltweit gefährdet. Im letzten Jahr wurde das Institut für Gender Forschung in Kassel massiv angefeindet. Die in Hans Mayers Hauptwerk, dem zuletzt in Tübingen tätigen und dort in den 1990 er Jahren verstorbenen Literaturwissenschaftler und Schriftsteller, beschriebenen – Außenseiter – nämlich Juden Frauen und Homosexuelle, heute würde er die Liste möglicherweise erweitern, die ewig gefährdeten in dieser Welt, sind wieder Schuld – im Weg – aus dem Weg zu räumen. Ich ertappe mich in düsterer Vision: Ähnlich wie die Nazis die junge brüchige Verfassung und Demokratie in der Weimarer Republik für ihre Machtziele nutzten, könnten erstarkte Rechtspopulisten die EU für ihre Ziele nutzen. Rechtspopulistische, billige falsche Antworten scheinen näher als Brüssel und noch weiter entfernt und zu anstrengend der geistige Bogen von Antike über Humanismus Aufklärung und Moderne. In meine Gedanken, Befürchtungen hinein, begegnete ich vor zwei Jahren, in einer spät nachts gezeigten Fernsehsendung, der mir bis dahin unbekannte Jean Amery in einem Fernsehinterview mit dem Lyriker und Rundfunkredakteur Helmut Heißenbüttel. Jean Amery, eigentlich Hans Mayer, er hatte sich 1955 ein frankophil anmutendes Anagramm zugeeignet, wurde 1912 geboren. Er war ein jüdisch-österreichischer Schriftsteller, Widerstandskämpfer und NS Opfer. Bevor er 1935 in einem Wiener Cafe von den Nürnberger Rassegesetzen las und deren Bedeutung sofort erkannte, verkehrte er in Wien mit anderen Literaten und den Philosophen des Wiener Kreises. Amery hatte zeitlebens bewusst keine Beziehung zur jüdischen Religion, identifi zierte sich jedoch mit dem Judentum. 1938 fl oh er nach Belgien. 1940 wurde er beim Einmarsch der deutschen Truppen festgenommen, er konnte fl iehen, schloss sich dem Widerstand in Belgien an und wurde beim Verteilen von Flugblättern von den Nazis verhaftet. In Fort Breendonk wurde er mit der Peitsche und dem sogenannten Pfahlhängen gefoltert und im Januar 1944 nach Auschwitz gebracht, wo er übrigens auf Primo Levi traf. Anfang 1945 kam er ins Lager nach Bergen-Belsen, das im April 1945 von den Briten befreit wurde. Er überlebte den Holocaust. Nach Österreich wollte er nicht zurück, er lebte in Brüssel und arbeitete als Kulturjournalist für deutschsprachige Zeitungen, in erster Linie in der Schweiz. Dass er später in Deutschland überhaupt publizierte und Boden betrat, ist dem mit ihm befreundeten Helmut Heißenbüttel zu verdanken. 1974 beging er seinen ersten fehlgeschlagenen Suizidversuch, 1978 gelang ihm sein zweiter im heutigen Hotel Sacher in Salzburg. Neben Primo Levis – Ist das ein Mensch – zählt der 1966 in Deutschland erschienene Text –Jenseits von Schuld und Sühne – zu den zentralen Texten der Holocaustliteratur, mit dem er in Deutschland bekannt wurde. Neben weiteren Texten zum Holocaust, einigen Romanen, schrieb er Essays über Philosophie, Literatur, Politik und Zeitgeschichte. Vor etwa 10 Jahren ist in neun Bänden im Klettverlag sein Gesamtwerk herausgegeben worden. Seine schonungslose Ehrlichkeit sich selbst gegenüber, sein authentisch-glaubhaftes Empfinden, sein abwägendes Denken und gewähltes Formulieren haben mich seit dieser Nacht in den Bann gezogen und ich begann mit dem Lesen seiner Schriften. Durch seine Schrift – Jenseits von Schuld und Sühne – habe ich mich so intensiv wie noch nie zuvor mit dem Holocaust, den Generationen Nachkriegsdeutschlands, aber auch unserem aktuellen gesellschaftlichen Zustand beschäftigt und auseinandergesetzt. Ohne seine Schriften blieben mir Holocaust und Nachkriegsdeutschland in gewisser Distanz. So erlebte ich mich – wie mitten drin –. Meine Figurenmalerei hat sich in ihrem Wesen nicht verändert. Aber durch die Auseinandersetzung mit Amery, den Malern Music und Frankl, auf die ich gleich noch zu sprechen kommen werde, und einem Schlüsselerlebnis im Horber Betsaal, begann ich fieberhaft ergriffen an einer neuen Werkphase zu malen, zu arbeiten. In den 1960er und 70er Jahren war Jean Amery im Gespräch und hatte einen gewissen Bekanntheitsgrad, inzwischen ist er fast völlig in Vergessenheit geraten. Er ist für mich, in seiner aufdeckenden, weitsichtigen Art, vielleicht vergleichbar mit dem italienischen Schriftsteller und Filmemacher Pasolini, einer der wichtigsten Intellektuellen der Nachkriegszeit. Als Erster erkannte er früh den verdeckten Antisemitismus der Linken, obschon er sich immer als Linken sah, diesen aber reformieren wollte. Er war in jungen Jahren begeisterter Satre Anhänger, distanzierte sich älter werdend vom Existenzialismus, warnte vor Irrationalismus, seine respektvolle aber deutliche Kritik am Strukturalismus halte ich für uns Menschen der Postmoderne für außerordentlich wichtig und unbedingt lesenswert. – Ein jüdisch links humanistischer Prophet – Jean Amery ist mit seinen Aussagen, wie ich fi nde, hochaktuell und gehört in jede fruchtbare geistige Auseinandersetzung unserer Zeit, unserer Problematik. Im Zuge der Beschäftigung mit Amery, erinnerte ich mich an den von mir sehr geschätzten Maler Zoran Music. Music, in den 1960 und 70er Jahren mehrfacher Biennale- und Documenta-Teilnehmer, 1995 war er der erste Künstler dem zu Lebzeiten eine Retroperspektive in der Galerie National im Grand Palais in Paris eingerichtet wurde. Er ist inzwischen ebenso und bezeichnend ähnlich in Vergessenheit geraten wie Amery. Zoran Music, 1909 im heutigen Slowenien geboren, verstarb fast 100jährig, 2006 in Venedig. Er studierte in Zagreb Kunst, 1944 wurde er von der SS der Freundschaft und Kollaboration mit antideutschen Kreisen angeklagt. Nach Verhör und Folter, wurde er vor die Wahl gestellt, für Deutschland in einer istrischen Sondereinheit zu kämpfen oder zum Arbeiten nach Dachau in Konzentrationslager zu gehen. Er entschied sich für Letzteres. Music überlebte das Konzentrationslager und begann wenige Wochen vor der Befreiung des KZ Dachaus, als sich die Aufsichten gelockert hatten, zu zeichnen. Es entstanden etwa 200 Zeichnungen, ungefähr 35 sind erhalten geblieben. Lassen Sie mich aus seinen schriftlichen Aufzeichnungen zitieren „…gegen Abend wurden die Sterbenden und die, die man für tot hielt, zusammengelegt wie Holzscheite… fast turmartig, ein haluzinatorischer Turm, der sich bewegte und stöhnte…in der Nacht hatte es geschneit, am nächsten Morgen bewegte sich der Turm nicht mehr… Ich war in einem fieberhaften Zustand und verspürte das unwiderstehliche Bedürfnis zu zeichnen… ich lebte nur für diesen Tag. Morgen würde es zu spät sein…wir wussten, es war beschlossen das Lager durch Sprengstoff zu vernichten, mit uns darinnen, sobald der Rückzug der Lager SS beginne”. Er zeichnete das Grauen der Konzentrationslager und ist mit Levi, Amery und dem Maler Adolf Frankl einer der wichtigen Zeitzeugen des Holocaust auf Opferseite. Von der gesellschaftspolitischen Entwicklung nach 1945 enttäuscht, beginnt er 1970 den Zyklus der Bilder – Wir sind nicht die Letzten – den Titel abgeleitet von dem hoffnungsgetragenen Ausspruch der Überlebenden Dachaus – Wir sind die Letzten – nach Auschwitz wird es eine Welt ohne Barbarei geben –. 18 Jahre lang arbeitet er an diesem Thema und beendet 1988 den Zyklus. Eindringlich, schonungslos mahnend, erschütternd nimmt er malerischen Bezug auf seine Zeichnungen und Erfahrungen aus dem KZ Dachau und der mangelhaften Aufarbeitung des Holocausts nach 1945. In seinem Spätwerk erschließt er, die von dieser Welt gezeichnete gebrannt-markte Einzelfigur. Music’s späte Phase kann und sollte in seiner Tiefe kunsthistorisch neben dem Alterswerk Rembrandts gesehen und eingestuft werden. Seine Thematisierung der isolierten Figur, das menschliche Selbst im leeren Raum, die erweiterte Sicht unserer Existenz, ist mit meinem malerischen Ansatz nahezu identisch und lässt meine innere Nähe und Begeisterung für Music verständlich machen. Im Zusammenhang mit Amery und Music habe ich vorhin den jüdischen Betsaal in Horb erwähnt. Im November 2012 besuchte ich dort eine Ausstellung. Seit 3 Jahren wohnen meine Frau und ich in der Horber Altstadt, unweit vom Betsaal. Schon vorher, bei gelegentlichen Ausflügen nach Horb, hat mich das damals noch nicht renovierte leerstehende Gebäude beeindruckt. Was wollte es mir sagen? – Die Nachbarn werden weggebracht – so der Titel der Ausstellung. Neben einigen informativen Tafeln waren schwarz-weiße Portrait-Fotos in dunklen Rahmen einzelner jüdischer Horber Bürgerinnen und Bürger, daneben der jeweilige Lebenslauf, eines neben dem Anderen, auf Augenhöhe, zu sehen. Das plötzliche Wegsein von 126 Horber jüdischen BürgerInnen, das Entsetzen, der Holocaust selbst, die KZ ‘s, die Gräuel waren in den Räumen der Ausstellung spürbar. Andererseits wurde, in dem inzwischen sehr gelungen restaurierten Betsaal, welcher zum Dokumentationszentrum des Träger- und Förderverein Ehemalige Synagoge Rexingen umgestaltet wurde, das einzelne Leben, die Persönlichkeit unserer jüdischen MitbürgerInnen aus der absoluten Auslöschung der Nazitäter – repersonalisiert –, für den Besucher und vor allem für die jüdischen Verwandten, würdevoll Bezüglichkeit wiederhergestellt. Diese Ausstellung, das Ausstellungskonzept der Verantwortlichen ist stellvertretend und beispielhaft für die liebevolle Arbeit des Vereins. Inzwischen wurde in jahrelanger Kleinarbeit eine Datei mit 3000 jüdischen Bürgerinnen und Bürgern, die seit dem 18. Jahrhundert in Rexingen gelebt haben, für deren jüdische Verwandte in Israel und der USA und für Interessierte erarbeitet. Der Besuch dieser Ausstellung – die Nachbarn werden weggebracht – war für mich persönlich und meine Malerei ein tief-prägendes Schlüsselerlebnis. Ein ähnliches Erlebnis hatte ich am Ende meines Kunst-Studiums, als ich im Nürnberger Germanischen Nationalmuseum in der Ausstellung – Visionen aus dem Inferno – Bilder des wohl völlig unbekannten jüdischen Malers Adolf Frankl sehen konnte. Frankl, 1903 in Preßburg geboren, studierte Malerei in Brünn. 1944 wurde er ins KZ Auschwitz-Birkenau deportiert. Er überlebte den Holocaust und ging in seine Heimat zurück. Nach der kommunistischen Machtübernahme der Tschechoslowakei, ging er nach Wien und begann ab dem Jahr 1945 bis 1975, in einem ähnlich langen Zeitraum wie Music, seine traumatischen Erlebnisse in dem Zyklus – Visionen aus dem Inferno – – Kunst gegen das Vergessen – zu malen, zu verarbeiten. Über seine Arbeit schreibt er „… ich will nur als Augenzeuge die unbeschreibliche Angst und das unverdiente Los von Millionen Juden Zigeunern und anderen gepeinigten Minderheiten… als Mahnmal mit meinen Händen festhalten, festhalten versuchen… In einer Art, die auch in der Zukunft die Menschen an diese Tragödie erinnern soll …”. Es sind Bilder, die sich einer gängigen kunstgeschichtlichen Beschreibung verwehren. Kategorien wie expressiv usw. sind hier fehl am Platz. Seine Bilder werden eher als posttraumatische Psychogramme, als Teil der Kunstgeschichte gesehen. Wie auch ein Katalog über Zoran Music liegt der Ausstellungskatalog der Frankl-Ausstellung auf dem Tisch neben dem Treppenaufgang zur Einsicht aus. 1983 starb Frankl in Wien. Sein von ihm als Mahnmal zu verstehendes Werk wurde und wird bis heute in der Wiener Galerie – Art Forum – am Wiener Judenplatz von seinem Sohn und dessen Frau der Öffentlichkeit zugängig gemacht. Über der Eingangstüre ist ein Schild mit – Kunst gegen das Vergessen – angebracht. Seit meinem Besuch der Ausstellung – die Nachbarn werden weggebracht – im Horber Betsaal entstand in mir der Wunsch, meine in diesen Zusammenhängen entstehenden Bilder, mit dem Synagogen Verein in Horb-Rexingen auszustellen. Auf meine Anfrage hin kam es zu Atelierbesuchen mit Barbara Staudacher, Heinz Högerle und Mike Zerhusen bzw. mit Herrn Dr. Falk und Walle Sayer. Sie waren beeindruckt von den Ergebnissen meiner malerischen Auseinandersetzung, der Wirkung der Bilder. So begannen wir vor einem guten Jahr dieses Ausstellungsprojekt zu planen, um es heute an diesem Gedenktag zur Eröffnung zu bringen. Der hier in der Synagoge ausgestellte malerische Werkkomplex ist seit meiner Begegnung mit Amery in den letzten beiden Jahren entstanden. Dabei habe ich mich in der ersten Phase emotional-seelisch und zunehmend auch geistig-intellektuell mit dem Holocaust, dessen möglichen Ursachen, der Aufarbeitungskultur nach 1945 und unserem gegenwärtigen gesellschaftlichen Zustand auseinandergesetzt, und merkte, dass die im malerischen Prozess entstehenden Figuren, zu ihrer Bezogenheit zum Holocaust auch unsere aktuelle existentielle Befi ndlichkeit in sich tragen. Heißt das, es hat sich nichts verändert? Haben wir als Gesellschaft versagt? Haben wir es versäumt, unsere Geschichte in ihrer vollen Komplexität anzunehmen, ehrlich und sinngebend zu verarbeiten? Waren es doch nur Einzelne und einzelne Interessengruppen, die sich engagiert dem Gesamtproblem Nazideutschland und dem Antisemitismus stellten und Deutschland zu nachhaltiger Humanität verleiten wollten? Haben wir in unseren multikulturellen Gesellschaften das rationale Gebot, sich mit Liebe und Verstand, Religion allgemein und im Spezifi schen zu widmen, sträfl ich vernachlässigt? War es eine Versuchung anzunehmen, der Holocaust wäre eine geschehene Insel des Grauens gewesen und unser heutiges Leben ein davon unabhängiges Dispositiv? Wir hätten doch eine ansehnliche Erinnerungskultur vorzuweisen?In das Schweigen des Täterkollektives und der kompensatorischen Kulturbefl issenheit verweist 1950, der Philosoph Kritiker und Komponist Adorno auf die Bedeutung und das schwere Erbe eines tiefen Zivilisationsbruches, einer kaum vernarbungsfähigen Wunde, durch die Gräuel Nazideutschlands. Der schon erwähnte Hans Mayer versucht in seinem bereits 1975 erschienen Buch – Außenseiter – die These zu bestätigen, dass die bürgerliche Revolution gescheitert sei, weil – um es mit dem Begriff des kürzlich verstorbenen Ralph Giordano zu sagen, die – zweite Schuld – darin besteht, dass es nicht gelungen ist, Juden, Andersgläubige, andere Minderheiten, Frauen und Homosexuelle als gleichberechtigte BürgerInnen zu sehen. Heute, 70 Jahre nach Auschwitz, müssen wir uns als Europäer und globale Weltbürger, angesichts wachsendem Antisemitismus Islam- und Fremdenfeindlichkeit, Homophobie, Nationalismus, Rechtspopulismus, Gewaltbereitschaft, Diskriminierung gegen Frauen und Mädchen die Frage gefallen lassen: Haben wir Teil an einer – dritten Schuld –? Dieses besondere Gefäß in dieser Welt – der Mensch – könnte gefüllt mit Liebe, Verstand und Vernunft zu friedlich-gemeinschaftlichem Leben erblühen. Oder wird doch wieder ein inhumanes Menschenbild mit Hass, Wahn und Gewalt unsere Zukunft dominieren? Wo stehen wir heute 70 Jahre später? Stehen wir am Ende des Schattens von Auschwitz? Gibt es die weiße, unbelastete Generation – oder wirft die Zukunft ihren dunklen Schatten schon auf uns? Überlagern sich die Schatten von gestern und morgen und die weiße Generation entpuppt sich als Wunschvorstellung? Wie gehen wir mit unseren gesellschaftlichen Herausforderungen um? Wie können wir mit Willen zum Guten entgegenwirken, wenn Hass zunimmt? Wird es uns gelingen, Zuwachs an Liebe zu generieren, auch wenn Sicherheiten und Wohlstand wegbrechen, Bedrohungen eintreten? Wissen wir, wie das Fremde, das Andere, Feinde zu lieben sind? Haben wir substantielle Kräfte für schwere Zeiten durch alltägliche Arbeit an Liebe als Lebensprinzip gesammelt? Martin Buber hat innerhalb der jüdischen Religion ein Philosophie des Dialogs, des Du geschaffen. Haben wir im Christentum eine Entsprechung, eine ernsthafte Philosophie der Liebe? Sollten wir nicht, zu Vernunft und Aufklärung, die auf Hoffnung gesetzte Kraft der Liebe, zumindest ergänzen? Wenn wir nicht entschieden gegen ein inhumanes Weltbild sind und uns nicht als überzeugte Verwalter und Beschützer eines guten, schönen und liebevollen Menschenbildes verstehen, sind wir möglicherweise schnell für die Inhumanität. Das hat uns doch die Geschichte Nazideutschlands bitter gelehrt. Abschließend erlauben Sie mir, den Ausstellungstitel – Ist das ein Mensch – mit einem Fragezeichen zu versehen. Was gibt es Größeres, wenn am Ende die Antwort lautet: Ja – das ist ein Mensch – Ausrufezeichen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!